Der komplette Artikel aus OLDTIMER MARKT 08/2019 – Teil 5

Im 300-Euro-Yugo nach Serbien

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Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben

Bei Yugotour werden wir bereits von Marija Miladinovic, unserer Fahrerin für diesen Nachmittag, erwartet. Marija fragt uns als erstes, welche Tour wir erleben wollen. „Rise and Fall of a Nation“ oder „Brutalism“. Weil wir eh schon zu viele Tito-Devotionalien in diversen Geschäften gesehen haben, entscheiden wir uns für die Brutalismus-Tour, und Marija wendet in acht Zügen. Marija ist eine hochintelligente Englischlehrerin, die aus Unterforderung noch Arabisch studiert hat und sich für das alte Jugoslawien begeistert. Mit der Überzeugungskraft eines texanischen Gebrauchtwagenhändlers hebt sie derart leidenschaftlich die Vorteile der Plattenbaukultur hervor, dass wir uns beinahe für die Warmmieten einer dieser Wohnschachteln in den Belgrader Betongebirgen interessieren. Wir rollen auf der Rückbank eines Zastava 101, ein Lizenzbau des Fiat 128, durch Außenbezirke der Stadt, die den Kulissen von Bladerunner in nichts nachstehen. Höhepunkt ist der Genex Tower, ein Monument des sozialistischen Futurismus, dessen Architektur so faszinierend wie auch gleichzeitig menschenverachtend verstörend ist, wenn man die Tristesse zu lange unter dem Gesichtspunkt auf sich wirken lässt, dass es tatsächlich Menschen sind, die in diesen bröckelnden, anonymen Monumenten mit Blick auf die Stadtautobahn wohnen. Zur Yugotour gehört es, dass jeder einmal eine Runde mit dem 101 fahren darf. In ihm sitzt es sich um Welten bequemer als im Yugo, dafür ist unsere kleine Semmel weitaus fahraktiver. Und als hätte Til Schweiger mal wieder ein vorhersehbares Drehbuch verfasst, bleiben wir auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel selbstverständlich standesgemäß mit dem Zastava liegen. Ein heißer Apriltag in der Stadt, Stop-and-Go-Verkehr, schon kocht Mutti Zastava ein schönes Benzinsüppchen unter der Haube. Marija wird ungeduldig und will nicht abwarten, bis sich der Motor abgekühlt hat. Die Fahrgäste persönlich schieben schlussendlich das Gefährt auf den Grünstreifen, und mangels Taxi zum Abwinken erledigen wir den Rest der Tour zu Fuß. Endlich mal ein Zastava, der liegen bleibt auf unserer Reise. Marija ist das abrupte Ende zwar unendlich peinlich, aber klischeeerfüllter kann so eine Rundfahrt nicht enden. Die Tour sei jedem Belgrad-Reisenden empfohlen, es gibt noch Abenteuer, die man kaufen kann. Nachts werden wir vom Zastava Fan Club zum Rumcruisen erwartet. Neven Ceric ist mit seinem extrem seltenen Yugo Cabrio gekommen. Nur 639 Stück wurden angeblich gebaut. Neven ist ein Yugo-Ultra. Nicht nur, dass er sauteure Maserati-Alus auf seinem Cabrio fährt, als er 2007 ein Auto brauchte und ihm seine Oma Geld für einen gebrauchten BMW geben wollte, schlug Neven das Angebot freundlich aus und kaufte sich stattdessen einen fabrikneuen Yugo – wissend, dass die Produktion 2008 eingestellt werden würde… In gewisser Weise verdankt Neven dem Yugo sogar sein Leben. Während des Krieges flohen sie mit einem Yugo 45 aus Kroatien nach Serbien. Im Convoy rollen wir durch die nächtliche, aufgeheizte Stadt, Clubpräsident Bane verpasst unserem Yugo einen Mitgliedsaufkleber, im Morgengrauen werden wir zu unserem Hotel eskortiert.

Allmählich nähert sich unsere Reise dem Höhepunkt. Kragujevac, das Detroit des Balkans, ist nur noch 140 Kilometer von uns entfernt! In seinem fantastischen Werk “The Yugo: The Rise and Fall of the Worst Car in History”, das unbestritten zu den Fixsternen der Weltliteratur gehört, stellt Autor Jason Vuic die Zastava-Werker ausnahmslos als versoffene Bande dar, indem er sich auf Pete Mulhern bezieht. Mulhern war in den Achtzigern im Auftrag Malcolm Bricklins im Zastava-Werk in Kragujevac, um die Chancen auszuloten, den Yugo in die USA zu importieren. „Sie trinken bereits morgens diesen Jet-Fuel“, war das erste, was Mulhern per Telex in die USA zurück twitterte… Doch kann man wirklich mit einer Flasche Slivovic im Blut ein Auto zusammenschustern, das uns auch 28 Jahre nach Erstzulassung unterm Strich pannenfrei durch Europa bringt?

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Teil 1: Balkanroute

Teil 2: Vienna Calling

Teil 3: Geldgeschäfte in Subotica

Teil 4: Sperrgut-Shopping in Belgrad

Teil 5: Stadtrundfahrten zum Selberschieben

Teil 6: Serbische Whistleblower und Selbstgebrannter

Teil 7: Der schnellste Mann Serbiens

Teil 8: Grenzstress in Bosnien

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