Accessoires

Ein Plädoyer für Autofahrer-Handschuhe

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Einst gehörten sie zum guten Ton eines ambitionierten Kraftfahrzeugführers, heute sind sie nahezu ausgestorben. Die Rede ist von Fahrerhandschuhen. Das ledrige Accessoire – mal mit langen, mal mit kurzen Fingern, mal mit sportiven Löchern, mal mit luftiger Häkelauflage – erfüllt viele Aufgaben. Es sorgt für den nötigen Grip an glatten Holz- oder Bakelit-Volants, erst recht, wenn es im Sommer ein wenig heißer hergeht und die Finger nicht nur aufgrund der waghalsigen Fahrmanöver schwitzig werden. Handschuhe schonen zudem Schaltknauf und Lenkradkranz vor dem Traktieren mit scharfkantigen Eheringen und machen das Anfassen von in der Sonne stehenden Lenkrädern überhaupt erst möglich. Außerdem sehen Sie ungemein schnittig aus. Mit der gelochten Halbfingervariante umweht einen schon gleich der Hauch des Verwegenen, das bisschen Steve McQueen, der Anschein des Profis, der genau weiß was er da tut.

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Von Taschengeschäften und Fachverkäufern

Bis auf den damals noch nicht vorhandenen Ehering waren das in meinen Gedanken alles ziemlich gute Gründe, warum ich vor einer halben Ewigkeit meine ersten Fahrerhandschuhe kaufen wollte. Dummerweise waren die Teile damals gerade mega-out. In Lederwarengeschäften schaute mich das Personal ob meines ungewohnten Ansinnens meist recht ungläubig an. Kein Wunder, den jungmodischen Taschenverkäufern (und –innen) fehlte schlicht die Vorstellungskraft, dass derlei „Zeugs“ zum Autofahren notwendig sein könnte. Fündig wurde ich schließlich in einem sehr alteingesessenen Geschäft, welches zumindest von außen betrachtet seinen Zenit deutlich überschritten hatte. Sowohl die Neon-Reklame wie auch die messingumrahmte Auslage deuteten stark auf eine Entstehung ziemlich genau in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hin – Renovierungen seitdem: Fehlanzeige. Bedient wurde ich von einem knapp 90-jährigen Fachverkäufer, der sich – in Unterstützung von seinem (wie er es nannte) „jungen Team“ aus 60-jährigen Damen – absolut aufopferungsvoll meiner annahm.

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Kurz- oder Langfinger-Handschuhe?

So fragte der Herr, ob ich denn Lang- oder Kurzfingerfahrer sei und welches Leder ich denn besonders präferieren würde. Überhaupt, das richtige Material sei eine Wissenschaft für sich. Ob Elch-, Lamm-, Ziegen- oder Peccary-Leder, sei längst nicht nur Geschmacksache. Peccary (im deutschen auch Pekari genannt) gelte schließlich als das Nonplusultra unter den Handschuh-Afficionados. Wunderbar weich und doch griffig. Das vornehmlich in süd- und mittelamerikanischen Gefilden lebende Peccary-Wasserwildschwein würde Fango-Packungen im Schlamm lieben und warte daher mit einer äußerst geschmeidigen und dabei doch strapazierfähigen Haut auf.
Ich verließ den Laden mit schwarzen Kurzfingerhandschuhen aus – Sie ahnen es – Peccary-Leder zum Preis von lediglich 45 dieser just eingeführten Euro, glücklich und auch ein wenig gespannt, ob des zu erwartenden Fahrkomforts. Was soll ich sagen? Sie erfüllten ihren Zweck. Ich verbrannte mir nicht mehr die Finger am heißen Lenkrad, rutschte nicht mehr auf dem Kranz umher – und sah (meiner damaligen Meinung nach) ziemlich cool aus. Doch da war noch etwas. Etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Diesen Fingerlingen wohnte eine eigene Magie inne, für deren vollständiges Erkennen ich einige Zeit benötigte.

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Die Verwandlung

Ich streifte meine Handschuhe über und fuhr Auto. Alles andere ohne die zweite lederne Haut war fortan lediglich tagtäglicher Pendelverkehr. Stupides von A nach B Kommen. Eine Aufgabe, die gefühlt nach über zwanzig Führerscheinjahren beinahe ausschließlich vom Rückenmark ausgeführt wird. Kein Genuss, eher eine lästige Pflicht. Doch mit dem Anlegen und Zuknöpfen der stramm sitzenden Handbekleidung änderte sich das schlagartig, als ob ein unsichtbarer Schalter umgelegt würde: Es ging nicht mehr um das Erreichen eines Ziels auf einer Landkarte, um das zeitige Ankommen, den schnöden Transit. Es ging um das rein essentielle Autofahren. Die Pupillen weiteten sich, die Aufmerksamkeit stieg. Jedes winzige Geräusch, jede noch so kleine Nuance im Empfinden traf ungefiltert bis in die letzte Hirnwindung. Ist da nicht ein winziges Wummern in der Antriebswelle? Zieht der Mensch vor mir noch schnell ohne Blinker raus? Ich war auf alles gefasst, nahm alles Wichtige wahr, fuhr einzig und allein Auto, nichts anderes. Kein Multitasking, kein Firlefanz, kein Handy, keine Diskussionen – ich war im Tunnel. Konzentration fegte den Kopf durch, beseitigte alles Überflüssige und nicht unbedingt Notwendige. Die Schaltvorgänge wurden geschmeidiger, ich achtete auf jede noch so kleine Feinheit und perfektionierte sie. Kurzum: Ich genoss meinen Klassiker und das Autofahren an sich. Die Handschuhe waren dabei zu meinem Ritual geworden, dem Schalter, den es brauchte, um zur Fokussierung zu gelangen. Der Konzentration auf das eigentliche Autofahren mit all seinen Facetten, Details und kleinen Nickligkeiten. Erst mit diesen Handschuhen waren meine klassischen Fahrzeuge komplett. Alleine nett, aber als Paket für meine Alltagsfluchten unschlagbar.

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Das begehrte Peccary-Schwein

Nach zwei Jahren war das erste Paar durch. Handschweiß, mangelnde Pflege und harte Fahrmanöver forderten ihren Tribut. Das alteingesessene Fachgeschäft war aus Altersgründen längst geschlossen und ich tröstete mich mit Handschuhen minderwertigerer Qualität von denen ich über die Jahre einige Paare verschliss. Irgendwann entdeckte ich auch wieder ein echtes Fachgeschäft, welches weitgehend unentdeckt in einer Kleinstadt entgegen des Trends nach wie vor unverdrossen auf Beratung und Qualitätsware setzte. Doch zwischenzeitlich schienen sich die weltweiten Peccary-Bestände rapide dezimiert zu haben. Nur so kann ich es mir jedenfalls erklären, warum die Preise um mehr als 150 Prozent gestiegen waren. Vielleicht ist Peccary ja auch das neue Gold und in Krisenzeiten besonders begehrt, wer weiß? Doch eines ist über die Jahre stets gleich geblieben: Das Ritual funktioniert wie eh und je. Und über die Jahre kamen letztlich auch Modelle mit gehäkeltem Rücken hinzu – man wird ja schließlich auch älter…