Kommentar

Lebensfremdes aus dem Glaspalast

Wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, befand der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt mal. Auch wenn ich die Aussage nicht wirklich teile, würde ich sie gern jenen 340 EU-Parlamentariern ans Herz legen, die Mitte Februar für ein Verbot für Verbrenner-Pkw ab 2035 gestimmt haben (bei 279 Gegenstimmen). Wird die Initiative umgesetzt, können dann nur noch Autos neu zugelassen werden mit batterieelektrischem oder Brennstoffzellenantrieb. Aus erneuerbaren Energien erzeugte Kraftstoffe, so genannte E-Fuels, sind für die Politik keine Option. Grund: Diese Kraftstoffe werden bei den Flottengrenzwerten nicht als CO2-neutral angerechnet und sind für die Hersteller somit uninteressant.

Fakten zur Versorgungslage

Der Effekt für das Klima wäre überschaubar: 1,5 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes gehen auf das Konto des privaten Straßenverkehrs der EU, immerhin die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde. Um überhaupt einen Nutzen zu entfalten, müsste der Strom für die E-Mobilität zudem aus erneuerbaren Energieträgern stammen. Da jedoch sieht es auf europäischer Ebene ziemlich finster aus. Laut statistischem Bundesamt wurde der Primärenergieverbrauch der EU 2021 zu zwei Dritteln aus fossilen Trägern und Kernkraft gespeist. Dass in nur zwölf Jahren der Umstieg auf Erneuerbare gelingt, ist reines Wunschdenken. Beispiel Deutschland: Da wurde vor ebenfalls zwölf Jahren der Bau der wichtigen Südlink-Stromtrasse beschlossen, die Energie von den Offshore-Windparks vor der deutschen Küste nach Bayern bringen soll. Aktuell ist noch nicht mal das Genehmigungsverfahren abgeschlossen, von Spatenstich oder gar Bau ganz zu schweigen.

Hochgeladenes Bild Widerstand aus Deutschland programmiert: Die EU will Kernkraft zu grüner Energie umdefinieren

Zum Mangel an grüner Energie kommen weitere ungelöste Probleme. Weht kein Wind und scheint auch keine Sonne, herrscht Dunkelflaute, woran sich bis auf Weiteres mangels Speichermöglichkeiten nichts ändern wird. Mangel herrscht obendrein an für die Batterieherstellung wichtigen Rohstoffen wie Nickel, Kobalt, Seltenen Erden und teils auch Lithium. Viele dieser Komponenten sind Preistreiber beim Bau von E-Autos und kommen oft aus demokratisch fragwürdigen Ländern wie etwa Russland oder China, womit neue Abhängigkeiten programmiert sind. Kurz gesagt: Den Ökostrom, den wir nicht haben, transportieren wir über Leitungen, die es nicht gibt, in Autos, die wir in ausreichender Menge nicht bauen können.

Verbrenner Verbot Florians-Prinzip: Viele Rohstoffe für Akkus werden in der Dritten Welt unter fragwürdigen Bedingungen gefördert

Visionen hin oder her: All das wird auch jenen 340 Abgeordneten bekannt gewesen sein, die in Straßburg für das Verbrennerverbot gestimmt haben. Die naheliegende Frage lautet also: Was hat sie zu ihrem Votum bewogen? Einem Votum, das absehbar die bezahlbare, funktionierende Mobilität aufs Spiel setzt und damit das Wohlergehen unserer modernen, arbeitsteiligen Industriegesellschaft. Und das den drei großen europäischen Fahrzeugindustrien Deutschlands, Frankreichs und Italiens großen Schaden zufügt.

Erklärungsversuche

Ich sehe nach langem Überlegen nur zwei potenzielle Erklärungsoptionen. Erstens: Unter den Parlamentariern herrscht der Glaube vor, man müsse der Industrie nur heftig genug in den Hintern treten, dann klappe das schon. In dem Fall müsste man den Entscheidern einen beängstigenden Mangel an physikalischem und wirtschaftlichem Grundverständnis attestieren. Oder zweitens: Sie wollen genau diese Folgen – im Dienst der guten Sache des Klimaschutzes und davon ausgehend, dass die (vor allem ärmeren) Bürger die schmerzhaften Folgen für ihr Leben schon unwidersprochen erdulden werden. In dem Fall wäre der Mangel an politischem Gespür ebenso atemberaubend wie symptomatisch für die abgehobene Polit-Elite in Brüssel und Straßburg, die aus Brexit und allerorts sinkenden Zustimmungswerten noch nie Rückschlüsse gezogen hat und mit ihrer Selbstherrlichkeit den europäischen Gedanken untergräbt.

EU Flaggen Bittsteller: Die EU-Kommission ignorierte Wünsche diverser Mitgliedsstaaten, das Thema E-Fuels zu berücksichtigen

Es ist deshalb gut und richtig, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im letzten Moment die Reißleine gezogen und das Thema dadurch von der Agenda des EU-Ministerrats genommen hat. Wissings Argument: Schon früh habe Deutschland die EU-Kommission aufgefordert, auch Optionen für E-Fuels auszuarbeiten, also synthetisch aus regenerativen Energien erzeugte Kraftstoffe. Doch diese Forderung hat die Kommission weitgehend ignoriert. Und damit auch den Wunsch vieler ärmerer Mitgliedsstaaten Osteuropas, in denen eine E-mobilitätstaugliche Infrastruktur noch viel größere Zukunftsmusik ist als im Westen der EU. Auch für die Oldtimerszene ist das Veto eine gute Nachricht. Denn nur wenn CO2-neutrale Kraftstoffe Teil des Alltags sind, können wir unsere Klassiker weiterhin bezahlbar und erhobenen Hauptes fahren.