Ist Alfas Montreal so gefährlich wie sein Ruf?
- 21. April 2020
- Dirk Ramackers
Omen est nomen: Das futuristisch gestylte Coupé feierte sein Debüt auf der Weltausstellung 1967 in Montreal. Drei Jahre später kam es auf den Markt
50 Jahre Alfa Romeo Montreal
"Der Sound und die Aussicht über die lange Haube – Montreal fahren macht einfach glücklich", seufzt Alfa-Kenner Udo Klein versonnen, als sein Blick für unsere Kaufberatung den Schwellkörper der Bertone-Karosserie abfährt. War etwas anderes zu erwarten angesichts der Anlagen, die das Coupé in Arese vor gut 50 Jahren mit auf den Weg bekommen hatte?
Im Auftrag seines Chefs Nuccio Bertone griff Formgestalter Marcello Gandini Mitte der Sechziger zu Bleistift und Papier und warf mit leichter Hand und flottem Strich ein rasant aussehendes Coupé mit den Abmessungen einer Giulia darauf. Denn genau darum ging es ursprünglich: einen Nachfolger für den Bertone GT zu zeichnen.
Nicht nur das Äußere des Montreal kam vor 50 Jahren futuristisch daher: Armaturenbrett im Flash-Gordon-Stil
Prototyp mit zu wenig Dampf
Die Alfa-Chefetage war von Gandinis Entwurf so begeistert, dass sie den Bau zweier Prototypen beschloss, von denen einer auf der Weltausstellung 1967 im kanadischen Montreal als Leuchtturm italienischer Automobilkunst diente und Petrolheads aus aller Welt zum Blankoscheck greifen ließ. Was sie nicht wussten: Der vermeintliche Mittelmotor-Sportler mit den scheinbaren Lüftungsschlitzen in der B-Säule trug das Triebwerk vorn und dort auch nur den altbekannten 1,6-Liter-Doppelnocker. Der hätte sich an den 1,2 Tonnen Coupé-Blech jedoch so mühsam abgearbeitet, dass jeder 1300er Fiat zum Angstgegner geworden wäre. Ein unhaltbarer Zustand.
Als die Serienentwicklung des Montreal Ende der Sechziger endlich konkret wurde, griff Ingegnere Giuseppe Busso daher in das Motorenregal des atemberaubenden Alfa 33 Stradale, zog dessen hyperaktiven Zweiliter-Vollalu-V8 heraus und domestizierte ihn mittels deutlich größerem Hub und reduzierter Verdichtung. Sowohl die Spica-Einspritzung mit acht Einzeldrosselklappen als auch die elektronische Zündung blieben als Reminiszenz an die sportive Herkunft erhalten.
Hoher Preis und komplizierte Technik
Als die Monti-Produktion 1970 endlich anlief, entwickelte sie sich allerdings nicht gerade zum Massengeschäft: Lediglich 3925 Coupés tröpfelten binnen sieben Jahren aus der Fertigung Bertones. Vermutlich war das Markenlogo nicht exklusiv genug für den mondänen Einstandspreis – für 35.000 Mark gab es 1970 auch einen gleich starken BMW 3.0 CSi samt 1300er Käfer für die Gattin oder einen zwölfzylindrigen Jaguar E. Zudem zeigte sich schnell, dass viele Alfa-Händler mit der Wartung des komplexen V8 überfordert waren und sie deshalb nicht selten schlicht ablehnten. Der resultierende Wartungsstau nagte umso gieriger am Image des Edel-Alfa...
Die vermeintlichen Lüftungsschlitze sind nur ein Stilelement, der Motor liegt vorn
"Einfach geht an dem Auto nix", stellt denn auch Udo Klein klar und erläutert das an einem illustren Detail. Der Montreal weist neben der üblichen Hupe ein luftdruckbetriebenes "Überlandhorn" auf. "Dessen Kompressor sitzt tief unten im Wagenbug und soll laut Wartungsvorschrift bei jeder Inspektion geölt werden", so Klein. Erreichbar ist er theoretisch durch einen Spalt, der sich zwischen Frontblech und geöffneter Motorhaube auftut. Praktisch schaffen das nur Leute, die auch durch einen Briefschlitz einen Hausflur tapezieren könnten...
Entsprechend teuer sind heutzutage gut erhaltene Exemplare. Für einen gut erhaltenen Montreal im Zustand 2 werden laut Classic Data-Marktwerttabelle schon Preise über 65.000 Euro aufgerufen. Immerhin verbessert hat sich die Teileversorgung. Die ist die Sonnenseite des Garagengoldrauschs, denn je wertvoller das Auto, desto eher lohnen sich Nachfertigungen. Wen das nicht abschreckt, sollte zu unserer ausführlichen Kaufberatung greifen: In OLDTIMER MARKT 3/2017 erläuterten Alfa-Kenner Udo Klein aus dem badischen Haßloch und die Breisgauer Montreal-Fachleute Gernot und Matthias Krauß die Monti-Schwächen bis ins Detail.
Späte Anerkennung: Die Preise gingen erst in den vegangenen Jahren durch die Decke