Der Aufreger

US-Car-Fans in Rage: Die Akte Autoposer

Hochgeladenes Bild Nichts ist Christian Schütze so fern wie Krawall auf der Straße, trotzdem stellt die Soko Autoposer seinen Chevrolet-Pickup sicher

Ärger um eine Ermittlungsgruppe der Hamburger Polizei: Eigentlich soll sie rücksichtslose Raser jagen, doch immer öfter geraten Besitzer amerikanischer Oldtimer ins Visier der Beamten. Oft sind absurde Verfahrensfehler im Spiel

Wer wissen will, wie die Hamburger Polizei gegen Autoposer vorgeht, wird zwangsläufig zum Leser der Boulevardmedien. Fast keine Woche vergeht in der Hansestadt, ohne dass die Beamten der Soko Autoposer die Schlagzeilen fett machen. Okay, eigentlich ist die zehnköpfige Abteilung keine echte Sonderkommission, sondern nur eine Dienstgruppe. Aber eine, die für Reichweite sorgt, wenn sie "Raserkarren" aus dem Verkehr zieht und "einen 400-PS-Dodge kassiert", einen "Schummel-Protz-Benz" sicherstellt oder eine "PS-Lady an der Alster stoppt". Als die Dienstgruppe das 1000. Auto einzieht, gratuliert ein großes Boulevard-Blatt mit einer Jubel-Headline: "Glückwunsch, Soko Autoposer!"
Man muss solche Schlagzeilen nicht mögen. Aber es hilft zu wissen, dass sie in Hamburg tatsächlich ein Problem mit Autorasern haben. Zur Kundschaft der 2017 gegründeten Dienstgruppe gehören zugedröhnte Typen, die mit 140 km/h durch die nächtliche Hansestadt ballern. Oder Hochzeitsgesellschaften, die mit ihrer AMG-Flotte mal eben die Autobahn sperren, um ein paar Freudenschüsse aus der Schreckschusspistole abzufeuern. Gut, dass es eine Eingreiftruppe gibt, die sich um solche Patienten kümmert. Weniger gut, dass sich die Beschwerden über die Soko Autoposer häufen, weil immer öfter auch Oldtimer-Fahrer dazwischen geraten.

Hochgeladenes Bild Schütze opfert den Originalzustand seines Klassikers und lässt einen zweiten Schalldämpfer montieren

"Jeder kennt einen, der mit denen schon mal Stress hatte", sagt ein Hamburger Szenekenner. Oft geht es um Lappalien. Oder um gar nichts, weil die Kompetenz der Dienstgruppe mitunter schon an der fachgerechten Lärmmessung scheitert. Die Folge sind beschlagnahmte Klassiker, Gutachten und Gegengutachten, Ordner voller Anwaltsschreiben und Oldtimer-Besitzer, die auf den Kosten sitzen bleiben. Vor allem darum gehe es der Polizei, wie Insider behaupten. "Abschrecken sollen nicht mehr alleine das Bußgeld oder die Punkte im Zentralregister, sondern der bürokratische Aufwand und die hohen Kosten, die eine Sicherstellung nach sich ziehen" sagt Sven Rathjens, Rechtsanwalt aus Rostock, der ein bundesweites Netzwerk von 300 Juristen mit Auto- und Tuning-Expertise aufgebaut hat. "Früher gab es einen Mängelschein, aber das ist politisch nicht mehr gewollt. Heute wird beschlagnahmt. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in vielen anderen Städten." Rathjens spricht "von wahllosem Generalverdacht, der immer wieder auch Oldtimer trifft". Eine Rolle spielt auch, dass sich die Stammkundschaft der Dienstgruppe mittlerweile auf legale Weise wehrt: "Die Soko steht unter Erfolgsdruck, doch bei den AMG-Jungs ist nicht mehr viel zu holen", sagt ein Kenner der Tuningszene, "die lassen sich inzwischen sogar ihre Unterboden-Beleuchtung eintragen". Die Folge: "Eigentlich habe ich keine Lust mehr, mit meinen US-Klassikern nach Hamburg zu fahren", sagt André Höhnl, ein Sammler aus Bargfeld-Stegen in Schleswig-Holstein, "und ich kenne jede Menge Kollegen, denen es genau so geht. Alles ganz normale Leute mit ganz normalen Autos".

Hochgeladenes Bild Ein ganz normaler Mittwochnachmittag: Die Einkaufsfahrt endet für Frank Otero Molanes mit der Sicherstellung seines Mustang.

Leute wie Christian Schütze, der seinen Chevrolet C-10 Pickup von 1978 inzwischen verkauft hat. Doch zuvor, im Herbst 2020, macht er noch Bekanntschaft mit den eigenwilligen Methoden der Dienstgruppe Autoposer.
Es ist nicht Christian Schütze, der am frühen Abend am 9. September hinterm Steuer des Chevy sitzt, sondern sein Hobbykumpel Georg Kubina, dem er das Auto geliehen hat. "Mich hat die Soko Autoposer angehalten und den Wagen beschlagnahmt", teilt ihm der geschockte Kubina am nächsten Morgen per WhatsApp mit. Christian Schütze fällt schon deshalb aus allen Wolken, weil ihm die Polizei nicht mitgeteilt hat, dass sein Auto in der Verwahrstelle steht. Vor allem aber ist der freiberufliche Art Director fassungslos über den Vorwurf, er habe die Abgasanlage seines Chevy manipuliert.
Der Auspuff ist vor vielen Jahren zu Reparaturzwecken geschweißt worden – und genau das kommt Sebastian Weber*, Mitglied der Dienstgruppe Autoposer, verdächtig vor. Auch hält er den Klassiker für viel zu laut, was eine Lärmmessung vor Ort bestätigen soll: Das Messgerät zeigt ein Standgeräusch von 101 dB(A), obwohl laut Papieren nur 83 dB(A) zulässig sind. Angeblich ein massiver Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, der die sofortige Sicherstellung des Oldtimers rechtfertigt.

Hochgeladenes Bild "Wer ein nicht normales Auto fährt, steht mittlerweile unter wahllosem Generalverdacht. Meiner Meinung nach ist das politisch so gewollt", sagt Rechtsanwalt Sven Rathjens über den Fall von Frank Otero Molanes

Vieles ist merkwürdig an diesem Fall, es beginnt bei der Akte, die Sebastian Weber anlegt. "Der Fahrer machte vor Ort keinerlei Angaben zur Sache", hält er darin fest. Wenige Wochen später, am 30. Oktober, erinnert er sich ganz anders: "Der Fahrzeugführer äußerte, dass er wisse, dass das Fahrzeug zu laut sei", schreibt er dem Halter, um ihn davon abzubringen, dem Bußgeldbescheid zu widersprechen. Aber von illegalem Lärm kann keine Rede sein, weil S. bei der Verkehrskontrolle das Geräusch des Chevy nach der falschen Norm misst. Denselben Fehler macht Dekra-Prüfingenieur Andreas Müller* in seinem Gutachten, das er kurz darauf im Auftrag der Dienstgruppe Autoposer abfasst. Er kommt zwar nur auf 95 dB(A) Standgeräusch, bemängelt aber das Fehlen eines Euro-Prüfzeichens auf der Abgasanlage.

Hochgeladenes Bild "Zeitgenössisches Tuning. Der Oldtimer-Status bleibt erhalten": Der TÜV Hanse hat kein Problem mit dem Mustang, als er 2013 die Vollabnahme nach § 21 StVZO besteht. Das Verfahren wird nach einem Jahr eingestellt

Gerade noch 84 dB(A) sind es, wenn nach der korrekten Norm gemessen wird: Denn die gibt gemäß § 49 der Straßenverkehrzulassungsordnung für Autos mit Einzelbetriebserlaubnis und Erstzulassung bis zum 1. Oktober 1983 eine Messentfernung von sieben Metern vor, keine Nahfeldmessung aus 0,5 Metern. "Zwischen beiden Messwerten beim selben Auto liegen dabei etwa 17 dB(A) Unterschied", sagt Alex Piatscheck, langjähriger GTÜ-Prüfingenieur und einer der beiden Inhaber der Oldtimer-Tankstelle an den Hamburger Elbbrücken. Laut gesetzlicher Norm kommen noch 5 dB(A) Toleranz dazu. Schützes Chevy ist also nicht zu laut. Und auch der Vorwurf des fehlenden Prüfzeichens geht ins Leere: "Das hatte so ein Chevy nie", sagt Piatscheck, "und er muss es bei diesem Baujahr nicht haben".

Was dem Pickup noch fehlt, ist ein einzelner Buchstabe in den Fahrzeugpapieren: Dort ist zwar das Standgeräusch von 83 db(A) vermerkt, nicht aber das große N für die Messmethode. "Der Buchstabe fehlt häufig. Manchmal geht er bei der Vollabnahme unter, mitunter vergisst ihn die Zulassungsstelle. Er ist nicht zwingend vorgeschrieben, soll aber Verwechslungen vorbeugen", sagt Alex Piatscheck, der seinen Kunden rät, die Werte korrigieren zu lassen. Die Spezialisten von der Polizei müssten das wissen. Stattdessen gibt die Hamburger Zulassungsstelle dem Besitzer des Chevy genau vier Werktage Zeit, sein Auto stillzulegen. Das verhindert Christian Schütze, indem er einen zweiten Schalldämpfer nachrüsten lässt, mit dem der Klassiker die geforderten 83 db(A) auch in der Nahfeld-Messung erreicht. Jetzt ist der Truck zwar nicht mehr original, aber so leise, wie es der Polizei vorschwebt.
Am 21. Oktober 2020 gibt das Amt die Kennzeichen wieder frei, doch auf den Kosten des Umbaus, des Vollgutachtens und des Anwalts bleibt Schütze sitzen: fast 2000 Euro. Und Georg Kubina erhält einen Bußgeldbescheid über 1146,36 Euro, davon 941,36 Euro fürs Abschleppen, Unterstellen und das fehlerhafte Gutachten.

Hochgeladenes Bild "Ich habe keine Lust mehr, mit meinen Klassikern nach Hamburg zu fahren. Und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin", sagt US-Car-Fan André Höhnl

"Ich hab' das nicht bezahlt", sagt Frank Otero Molanes, "und es ist erstaunlicherweise nichts passiert." Von ihm fordert die Freie und Hansestadt Hamburg fast 800 Euro, nachdem er im Herbst 2018 mit seinem 1969er Ford Mustang ins Netz der Dienstgruppe Autoposer geraten ist. Zu den Streitpunkten gehört auch hier das fehlende N in den Papieren des zeitgenössisch getunten Klassikers: 79 db(A) dürfen es sein, 111 db(A) ergibt eine Nahfeld-Messung, diesmal bei einem "Institut für Forensik", das der TÜV Süd betreibt. Genau genommen klingt die verbaute Magnaflow-Abgasanlage des Mustang also noch immer einen Tick zu sonor. Doch für die Richterin Dr. Martinez-Villagran am Amtsgericht Hamburg-St. Georg tönt sie anscheinend nicht laut genug, um ein Urteil zu sprechen: Nach einem Jahr schlägt sie die Einstellung des Verfahrens vor. Womöglich hat sie den Schriftsätzen des Mustang-Besitzers entnommen, dass der Verkaufsleiter einer süddeutschen Premium-Automarke nicht dem Bild des Autoposers entspricht, aus dem die Hamburger Boulevard-Blätter ihre Schlagzeilen drechseln.
Die Pressestelle der Hamburger Polizei teilt unterdessen mit, dass die Anzahl der Oldtimer unter den kontrollierten Fahrzeugen "sehr gering" sei. Wie viele der bisher rund 1200 sichergestellten Autos ein H-Kennzeichen trugen, kann die Polizei nicht genau sagen.

Text Christian Steiger
Fotos Sven Krieger, Roman Rätzke

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