Autofriedhöfe und Dornröschen

Die Faszination des Verfalls

Sie scheinen in der Oldtimer-Szene an Faszination kaum zu überbieten. Täglich erreichen uns Bilder von Lesern zu dem Thema: Autofriedhöfe, dem Verfall preisgegebene Vehikel, Schrottplätze. Egal ob Einzelstücke in Schuppen und Gärten oder ganze Gruppen versteckt in entlegenen Wäldern, oder verwaiste Werkstätten – oder auch nur museale Reste, wie in OLDTIMER MARKT 11/2019 über den Schrottplatz der Ami-Schlitten in Châtillon. Auch wenn sie heutzutage immer schwieriger zu entdecken sind – Hartnäckige finden sie noch immer, die großen Areal verrottenden Blechs. Entstanden meist in den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren, wo ausgediente Autos einfach auf die Müllkippe geschoben oder ins Moor verklappt wurden. Wo Werkstätten ihre Tore schlossen, obwohl mitunter noch ganze Hallen voller Fahrzeuge dahinter standen. Und es gibt die Jäger und Sammler, die ihnen unerbittlich auf der Spur sind. Sie aufstöbern und mit Film- und Fotokamera die morbiden Fundstätten zu Kunstwerken machen.

Wie die beiden Naturfotografen Ulrich Haufe und Clemens Kröner, die bei Naturaufnahmen zufällig in einem norddeutschen Torfmoor ein ganzes Biotop von Moorleichen aus Blech entdeckten, heimlich in den fünfziger und sechziger Jahren verklappte Opel, NSU und Goggomobile. In Ausgabe 4/2016 haben wir sie besucht: "Ich hab' ne Gänsehaut gekriegt, als ich mein erstes Wrack entdeckte. Ein Käfer, völlig fertig. Aber es war der totale Kick!", sagte Haufe uns damals. Ein Video ihrer Entdeckungen zeigen die beiden Fotografen bei YouTube. Weniger zufällig ging es bei den beiden jungen Schatzsucher Dominik Deblich und Melanie Friedrich zu, die mit Hilfe guter Netzwerkarbeit die Schauplätze vergangenen automobilen Lebens aufstöbern, mit den GPS-Daten der Fundstellen durch Europa rasen und regelmäßig vergessene Werkstätten oder ganze Waldspielplätze aus Schrott aufzuspüren – in Gänze zu lesen in Heft 5/2018. Wie auch Haufe spricht Melanie Friedrich vom Kick, den sie verspürt, wenn sie auf Orte aufspürt, an denen alles so verblieben ist, wie die Bewohner es einst verlassen haben.

Hochgeladenes Bild

Manche Plätze aber sind nur noch Erinnerung, wie beispielsweise die anfangs erwähnten Wracks Hunderter von Ami-Schlitten im belgischen Châtillon. Drei Begeisterte haben sie vor der Vernichtung in einem Fotobildband dokumentiert, Reste und Fragmente in ein Museum in die Niederlande gerettet. Old Car City in den USA hat es indessen bereits zu realem Kultstatus gebracht. Angesiedelt in White am Highway 411 in der Umgebung von Atlanta ist es tatsächlich ein seit 1931 bestehender Autofriedhof mit geschätzt etwa 4000 Fahrzeugen, der gemeinsam mit dem Besitzer Dean altert. Wer kein Auto will, was auch nur noch selten vorkommt, zahlt 15 Dollar Eintritt und darf die Wege durch den pittoresken Schrottplatz wie in einem Nationalpark genießen. Wer fotografieren will, zahlt 25 Dollar.

Ein Friedhof ganz eigener Art war der in OLDTIMER MARKT 7/2019 geschilderte Lancia-Friedhof im hessischen Idstein. Angelegt von einem Sammler, der zeitlebens nicht im Mindesten an einen Autofriedhof dachte, sondern über den zahllosen, in seinem Anwesen gestapelten Restaurierungsprojekten einfach alt und grau geworden war. Nach seinem Tod wandte sich die ratlose Erbin an den Experten eines Lancia Clubs. Der völlig verblüfft wertvollste Flaminias mit Karosserien von Zagato, Touring und Pininfarina identifizierte. Alle in gutem Zustand locker sechsstellige Summen wert. Nur leider waren sie nicht gut, sondern eher Zustand 5 bis 6. Teilweise kaum noch zu rollen oder gar zu bergen. Eine Herkulesaufgabe für den Club, der in Räumkommando-Stärke anrollten und trotzdem Wochen brauchte, bis die alte Hofreite leer war.