Patina pflegen und erhalten

Mit Gefühl fürs Alter

"Besser als neu" oder Patina erhalten?

Weg ist weg. Eine Binsenweisheit, keine Frage. Im Umgang mit historischen Fahrzeugen trifft das vor allem auf die Originalsubstanz zu, denn während passende Ersatzteile heute eigentlich nur eine Frage des Aufwands sind, lässt sich Erstlack nicht reproduzieren. Originalgetreu ist eben nicht original. Gleiches gilt für Alterungsspuren. Das Zauberwort lautet Patina, jene Alterungsschicht, die in der jüngeren Vergangenheit im Oldtimerbereich immer größere Bedeutung erlangt hat. „Patina träumt vom Gebrauch über Generationen hinweg und opponiert so gegen die Vergottung des Neuen“, schrieb jüngst der Philosoph Thomas Palzer. Galt in der Oldtimerszene „besser als neu“ lange als Maxime, rücken Spuren, die von der Geschichte erzählen, mehr und mehr in den Fokus.

Polieren trägt Material ab

Die Patina überzieht die Oberfläche eines Autos wie ein hauchzarter Schleier. Lack, Chrom, Gummi, Leder – sie und andere sichtbare Oberflächen altern. Sie optisch in gutem Zustand zu halten, bedeutet nicht nur, sie zu waschen, sondern von Zeit zu Zeit auch mit speziellen Mitteln zu behandeln. Vor allem bei Lack und Leder hat das seine Tücken. „Beim traditionellen Polieren eines Autos wird jedes Mal eine winzige Schicht abgetragen. Der Lack wird immer dünner“, erklärt Semir Kunic, der sich seit den Neunzigern mit Fahrzeugpflege beschäftigt. Während das Polieren mit abrasiven, also materialabtragenden Mitteln modernen Lacken durchaus zuzumuten ist, sollte man bei Oldtimerlacken Vorsicht walten lassen.

Die Rede ist hier nicht von Autos, die jüngst mit modernen Materialien neu lackiert wurden, sondern von denen mit Jahrzehnte altem Lack, und erst recht von den verhältnismäßig wenigen Fahrzeugen, die im Erstlack erhalten sind. „Hier kommt es vor allem auf die Wahl der richtigen Mittel an, denn moderne Polituren sind in der Regel für moderne Lacke gemacht, und der sogenannte Wasserbasislack von heute ist nach ganz anderen Rezepturen hergestellt, als die Lacke früherer Jahrzehnte“, erklärt Kunic, der sich natürlich auch auf die Pflege und Konservierung moderner Lacke versteht, dem der Erhalt historischer Farbschichten aber ein besonderes Anliegen ist. „Inzwischen wissen immer mehr Oldtimerbesitzer zu schätzen, was sie da haben“, sagt der Frankfurter. „Autos, die früher als gute Restaurierungsbasis angeboten wurde, weil man sie eigentlich nur neu lackieren musste, um sie quasi neu aussehen zu lassen, werden heute konserviert.“

Glanz trotz Patina

Viele Besitzer können sich zwar mit dem Gedanken anfreunden, ein Fahrzeug mit Alterungsspuren zu fahren, möchten allerdings trotzdem, dass es glänzt und nicht den Eindruck von Vernachlässigung erweckt. Früher hätte das bedeutet, den Wagen zu polieren, was ihm wieder etwas von seiner Substanz geraubt hätte. Inzwischen gibt es Verfahren, Lack auch ohne oder nur mit sehr geringem Materialabtrag Glanz zu verleihen. Was den richtigen Umgang mit den historischen Lacken betrifft, steht Semir Kunic im Austausch mit Diplomrestauratorin Dr. Gundula Tutt, einer anerkannten Expertin für historische Lacke und Mitautorin der Charta von Turin.

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In seiner Werkstatt in Oberursel stehen drei Testobjekte bereit. Auf der einen Seite ein Alvis TD 21 von 1961: Der grüne Brite wurde irgendwann neu lackiert, wann genau, ist unbekannt. Fest steht nur, dass der vordere rechte Kotflügel erst vor wenigen Monaten neuen Lack erhielt. Obwohl der Lackierer den Farbton perfekt traf, will der Kotflügel nicht so recht zum Rest des Wagens passen. Der verbrachte zuletzt viele Jahre auf Mallorca und war dort Sonne und Seeluft ausgesetzt.
Die beiden anderen Probanden sind zwei Teile von einer Borgward Isabella: Eine blaue Motorhaube, die in den Sechzigern neu lackiert wurde, und ein roter Kofferraumdeckel im Originallack. Beide wurden seit über einem halben Jahrhundert nicht poliert.

Vor dem Glanz kommt die Reinigung

Zuerst kommt der Alvis dran: Aus der Ferne sieht der frisch gewaschene Wagen gut aus, bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass der Lack gelitten hat. Als erstes die Bestandsaufnahme: Der Schichtstärkenmesser bestätigt, dass die Park-Ward-Karosserie mehrmals neu lackiert wurde. Nun reinigt Kunic den Lack mit einer speziellen Knetmasse, an der Verunreinigungen haften belieben. Der Lack fühlt sich danach deutlich glatter an, einen Glanzgewinn brachte die Reinigung natürlich nicht. Dann kommt das Glanzmessgerät zum Einsatz: Die Skala reicht von 0 bis 100 gloss units (GU), auf Deutsch Glanzeinheiten. Alles ab 70 gilt als hochglänzend. Bei unserem Alvis sind es 79 – schon mal nicht schlecht.
Zunächst kommt ein sehr milder Lackreiniger auf synthetischer Basis zum Einsatz, der jene feinen Verunreinigungen entfernt, denen mit der Knete nicht beizukommen war. „Bei dünnem Originallack hätte ich auf diesen Vorgang verzichtet“, erklärt der Experte. Wie mild der Lackreiniger ist, zeigt sich beim anschließenden Blick auf die Polierscheibe: Die ist nicht dunkelgrün, wie bei aggressiven Lackreinigern, sondern nur leicht vom Schmutz verfärbt. Auch kleinere Flächen behandelt Kunic maschinell.
Dann ist Handarbeit angesagt. Mit einem weichen Baumwolltuch reinigt er den Lack mit einem Öl. Das biologische Produkt hat einen pH-Wert von 7,5, ist damit fast pH-neutral und greift den Lack genau so wenig an wie Wasser. Der Blick auf das Baumwolltuch zeigt, wie viel Schmutz trotz Vorarbeit noch immer im Lack steckt.
Nach der Reinigung folgt ein pflanzliches Lacköl mit dem Inhaltsstoff Leindotteröl. Wie der Reiniger stammt es vom kleinen Hersteller Tapir. Die Niedersachsen kommen ursprünglich aus der Lederpflege und haben sich inzwischen auch der Fahrzeugpflege angenommen. Ihre Produkte basieren fast ausschließlich auf natürlichen Inhaltsstoffen.
Das Öl wird vom Lack teilweise absorbiert und verleiht ihm bereits ein wenig Glanz. „Der Lack wird angefeuert“, wie Experte Kunic sagt. Das Lacköl hat konservierende Wirkung: Selbst winzige Roststellen werden luftdicht abgeschlossen und die Korrosion auf ein Minimum reduziert.

Auffüllen, nicht abtragen

Nach 24 Stunden ist das Lacköl trocken. Nun folgt der arbeits- und zeitintensive Auftrag eines Hochglanzwachses bestehen aus Carnauba-, Bienen-, Schellack- und Zuckerrohrwachs. „Ein matter Lack ist vergleichbar mit einer Gebirgslandschaft. Durch Umwelteinflüsse sind Täler entstanden. Bei der traditionellen Autopflege werden die Spitzen abgetragen, damit eine Ebene entsteht. Dieses Verfahren ist allerdings endlich, denn irgendwann ist kein Lack mehr da und die Grundierung kommt durch. Mit dem Wachs werden dagegen die Täler aufgefüllt damit eine Oberfläche entsteht, die, wenn man so will, oberhalb der Berggipfel liegt“, erläutert Kunic das zeitaufwendige Verfahren. Je nach Grad der Mattierung müssen bis zu drei Schichten aufgetragen werden. Da das Wachs nach jedem Auftrag 24 Stunden trocknen muss, eine langwierige Angelegenheit. Wenn die letzte Schicht trocken ist, wird das Wachs von Hand poliert. Beim Alvis reichen zwei Schichten, bei den Borgward-Hauben, die nicht mit Lackreiniger vorbehandelt wurden, waren insgesamt drei Durchgänge nötig.

Hochgeladenes Bild Ob Glanzmessgerät, Abperltest oder der Blick mit dem Mikroskop: Mehr als deutlich ist zu erkennen, was aus den mindestens ein halbes Jahrhundert alten Lacken der Isabella-Teile herauszuholen war. Der Materialabtrag war dank einer milden Reinigungsspolitur mit Marmormehl als Schleifmittel sehr gering. Das Finish nach einer Schicht Lacköl erfolgte mit drei Schichten Hochglanzwachs

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„Das Prinzip funktioniert ein bisschen wie Schuhcreme“, sagt Semir Kunic. „Dort bringen wir ja auch nicht das Leder zum Glänzen, sondern tragen die fetthaltige Schuhcreme auf, die einwirkt und abtrocknet und die wir anschließend polieren.“
Wie lange eine Versiegelung mit den Tapir-Produkten hält, ist sehr von der Nutzung und der richtigen Pflege abhängig, weshalb eine pauschale Antwort quasi unmöglich ist. Mikrofasertücher und alkalische Shampoos sollten in jedem Fall tabu sein.

Vorsicht vor Leinölfirnis!

Vor dem einst so beliebten Leinölfirnis zum Schutz von alten Lacken warnt der Autopflege-Experte und erhält Unterstützung aus der Wissenschaft: „Leinölfirnis ist zwar ein Naturprodukt, allerdings hat er auf Autolacken nichts zu suchen, denn er verbindet sich irreversibel mit dem Untergrund“, erklärt Gundula Tutt. „Leinölfirnis unterliegt einem Alterungsprozess, dunkelt nach und wird brüchig. Viele Museen können ein Lied davon singen. Früher wurden Gemälde mit Leinölfirnis überzogen, um sie zu schützen: Das hat anfangs funktioniert, aber der Firnis dunkelte im Lauf der Jahre nach und die Bilder verloren ihre Brillanz.“

Was ist Patina?

Das lateinische Wort Patina bedeutet Pfanne. Im italienischen entwickelte sich daraus in der Renaissance die Bezeichnung für die Schicht, die sich auf metallenem Kochgeschirr ablagert. Später wurde Patina auch für die Oxidationsschicht von Kupfer verwendet, im 19. Jahrhundert vollzog sich ein Bedeutungswandel und man verstand unter Patina eine Art Edelrost oder Alterungsmerkmale auch auf nichtmetallischen Oberflächen. Patina wurde dabei nie als störend empfunden, sondern stets als Beleg für langen Gebrauch.

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Der Innenraum

Den Innenraum des Alvis reinigt Kunic mechanisch mit einer speziellen Lederseife, bestehend unter anderem aus Sonnenblumenölfettsäure und dem Seifengrundstoff Stearin. Das Mittel reinigt nicht nur, sondern pflegt das Leder auch. „Leder ist ein Naturprodukt und natürlichem Verfall ausgesetzt, der nicht gestoppt, sondern nur verlangsamt werden kann. Tenside, wie sie viele Lederreiniger enthalten, entziehen dem Leder seine Restfeuchte und lassen es austrocknen. Außerdem werden Autositze oft mit Fett behandelt, das für Leder gedacht ist, das eine Nutzungsdauer von wenigen Jahren hat, Schuhe zum Beispiel. Hier funktionieren diese Fette sehr gut, für Autoleder, das Generationen überdauern soll, ist es allerdings ungeeignet.“

Hochgeladenes Bild Wichtig sind natürliche pH-neutrale Produkte. Es geht auch ohne Chemie, deren langfristige Folgen oft nicht bekannt sind, was bei Oldtimern durchaus berücksichtigt werden sollte: Der Vorher-Nachher-Effekt ist bei den Fußmatten deutlich zu erkennen

Und wenn ein Fahrzeug doch mal neu lackiert werden muss, dann bitte so schlecht, wie neu: „Meiner Meinung nach haben moderner Wasserbasislack und Klarlack auf einem Oldtimer nichts verloren. So lange es Alternativen wie Acryl- und sogar Nitrocelluloselacke gibt, und diese verarbeitet werden dürfen, würde ich immer auf sie zurückgreifen.“
„Ich finde, bei alten Gegenständen ist die Bedeutung von Oberflächen nicht hoch genug einzuschätzen. Sie sind es, die wir sehen und berühren“ beschreibt der 48-Jährige seine Pflegephilosophie. „Nichts verbindet uns mit der Vergangenheit eines Autos so unmittelbar, wie der Lack oder die Polster.“

Text: Gregor Schulz Fotos: Andreas Beyer, Semir Kunic

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