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Autoput: Erinnerungen an die Gastarbeiterroute

Europastraße 5 - Die Gastarbeiterroute

Für Millionen Gastarbeiter war die ehemalige Europastraße 5 der einzige Weg in die Heimat - auch wenn dieser mit großen Strapazen und Gefahren verbunden war. Flugtickets waren für eine ganze Familie unerschwinglich und wie hätten dann die ganzen Geschenke für Freunde und Verwandte in der fernen Heimat mitgenommen werden sollen? Ganz zu schweigen von den vielen Spezialitäten, die auf dem Rückweg mit nach Deutschland gebracht wurden.
Von München bis nach Istanbul verlief die Strecke über Österreich, Jugoslawien wo sie sich teilte und entweder Richtung Griechenland oder über Bulgarien Richtung Türkei ging. Mehr als zwei Jahrzehnte hatte diese Route bestand, dann kappte der Balkan-Krieg diese Verkehrsader und künftig fuhr man über Ungarn und Rumänien. Nach Ende des Krieges schritt der Autobahnbau rasant voran, sodass die ehemalige Europastraße 5 heute nahezu in Vergessenheit geraten ist.

Die Fotos unserer Leser, die wir im Zuge der Recherche zur Geschichte "Orient Express" in Oldtimer Markt Ausgabe 3/2015 zugeschickt bekommen haben, möchten wir Ihnen nicht vorenthalten. Sie dokumentieren eindrucksvoll, wie es damals auf der berüchtigten Route zuging. Außerdem haben wir noch zwei Erfahrungsberichte unserer Leser, die stellvertretend für die Erlebnisse der meisten Reisenden auf dieser Strecke stehen dürften.

Inhaltsbild Von Wülfrath in die türkische Heimat

Bis zu meinem 15. Lebensjahr bin ich die Strecke mit meiner Familie gefahren. Mein Vater Yildirim Adisen ein ehemaliger Ford-Arbeiter im Werk Wülfrath war damals einer der besten. Er ist die gefährliche Strecke zwischen 1969 und 1984 17 mal unfallfrei gefahren, davon sogar einmal im Winter. Er sagte immer: "Die Autos damals waren nicht so schlecht aber die Fahrer waren nicht so gut und hatten nur selten das Autofahren in Deutschland gelernt." Und ein Ford 12m (P6) oder ein Opel Kadett B mit 45- oder 50 PS-Motor waren für diese lange Strecke eigentlich nicht ausreichend. Und dazu meist noch voll beladen. Die meisten Unfälle gab es auf der Fahrt in die Türkei in Jugoslawien und auf der Rückfahrt in Österreich. Die Fahrer waren an diesen Punkten immer stark übermüdete. Sie fahren völlig am Ende und fuhren dann oft in den Tod. In den siebziger Jahren waren die arabischen Länder ( Iran,Irak,Syrien... ) ein großer Markt für EU-Länder. Dementsprechend fuhren neue Lkw für die Ölfelder und Sattelzüge mit Waren diese Strecke wie verrückt. Kaum zu glauben, dass uns damals nichts passiert ist.
Heute bin ich 46 Jahre alt und die letzte Reise ist 31 Jahre her. Wenn ich eines Tages genug Zeit habe, will ich die Route mit meinem Taunus TC-3 aus türkischer Produktion nochmal fahren…

Ahmet Adisen, Ayvalik - Türkei

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Von Wiesbaden in die griechische Heimat

Jede Fahrt war eine Zerreißprobe für Mensch und Maschine. Als Aufputschmittel gab es Kaffee, kaltes Wasser aus dem sogenannten „Bouruo“ (einem eiförmigen Styroporkrug mit Deckel) und viele Musikkassetten sämtlicher griechischer Schlagersänger. Schon Monate vorher hatten wir Geschenke für die Verwandten besorgt. Nur wie erklären wir Onkel Pantelis, dass wir die von ihm georderten Bratwürste nicht mitbringen können, weil die Wasserakkus der Kühltasche spätestens ab Belgrad handwarm sind? Von Wiesbaden bis Slowenien verlief es immer problemlos, abgesehen von den üblichen Staus. Ab Maribor kam’s dann knüppeldicke: Alles was Räder (oder auch keine) hatte, bewegte sich auf dem Autoput. Keine Seltenheit, dass einem auf dieser breit ausgebauten Landstrasse drei ausgewachsene 38-Tonner nebeneinander entgegenkamen oder ein Reisebus ein Pferdefuhrwerk nur um Millimeter verfehlte. Oft genug hielten mir meine Eltern die Augen zu, wenn wir wieder an einer Unfallstelle vorbeikamen. „Papamm, papamm“, ich habe immer noch das Geräusch der Beton-Fahrbahn im Ohr. Nach drei strapaziösen Tagen trafen wir dann völlig kaputt bei der Verwandtschaft in Piräus ein. Statt Dusche und Schlaf gab es ein großes Fest. Trotz der lebensgefährlichen Situationen ist dieses Kapitel aus meiner Kindheit eines der Schönsten. Ich bin dankbar, dass ich das alles erlebt und überlebt habe. Ich musste immer etwas schmunzeln, wenn Klassenkameraden beispielsweise von der „laaaangen Fahrt“ nach Dänemark berichteten…

Peter Georgovrettakos, Taunusstein

OLDTIMER MARKT auf der Gastarbeiterroute

Aus einer Schnapsidee wurde rasch ein konkreter Gedanke: OLDTIMER MARKT-Redakteur Matti Bohm wollte es selbst wissen, wie die strapaziöse Reise entlang der Gastarbeiterroute sich anfühlt. Mit seinem Kumpel Philipp und seinem Ford Granada nahm er die 2300 Kilometer lange Route unter die Räder. Was die drei dabei so alles erlebten, lesen Sie in OLDTIMER MARKT 3/2015.